Brief eines Toten

Wasser, überall nur Wasser. Früher träumte ich von der Luft des Meeres, dem Geräusch der Brandung, von blauen Wellen mit weiß verzierten Kämmen, die sich übereinander stürzen und einen flachen Nebel der Glückseeligkeit versprühen. Heute treibe ich, keine Meeresluft, sondern der Geruch der Fäulnis und des Verderbens um mich herum.

Wasser ist das Element der Seele, das alles aufnimmt, Gutes wie Schlechtes, Freude und Trauer, Stärke und Schwäche, Vergangenheit und Zukunft. Das Licht der Sonne, den Duft von Blütenpollen, die Asche eines Vulkans, den Gesang der Meerjungfrau, Tränen der Freude, Sommerschweiß, den Tanz der Libellen. Das Gold der Spanier, das Blut der Schildkröten, das Knallen der Peitschen auf den Galeren, das Gebrüll der Eroberer. Schöne neue Welt. Dann kam das Öl der Tankschiffe, die Netze der Fischer, die Tränen der Delphine, Micro und Macroplasik, Kerosin und radioaktiver Abfall. Das Wasser ist geduldig. Der Ozean - tief. Die Zeit - unendlich. Der Mensch - vergänglich. Wasser, das Seelenelement, ist der Spiegel unserer Selbst. Wasser vergisst nicht. Wasser vergiebt nicht. Ungeschminkt und hässlich hält es itso meinen Körper umschlungen. Gesättigt, mit dem Unrat der Städte, dem Gestank der Kanalisation, den Chemikalien der Fabriken, dem Kupfer von Kirchendächern, den Medikamenten der Hühnerfarmen, den Kadavern der Zivilisation, dem Urin der Sterbenden, dem Angstschweiß der Verzweifelten, dem Lächeln der Toten.

Ein Floß bin ich. Ein Hausboot von Raaben, Würmern und Krähen. Meine Augen haben sie schon fortgetragen. Meine Gedärme schlingen sie in sich hinein. Bis mein Körper sich auflöst im großen Pfuhl der Schande, den meinesgleichen hinterlassen hat. Wir haben versagt. Wir hofften auf die Gnade Gottes und werden vertilgt im rasenden Zorn unserer Mutter Erde. Wie viele Hurricans, Flutwellen und Waldbrände hat sie uns zur Warnung geschickt? Wie hat sie uns angefleht, aufzuhören, den Wahnsinn zu stoppen. Und wurde nicht auch ihr Flehen erhört und mit unzähligen Chören in die Welt getragen? Aber der Mensch wollte nicht (auf)hören. Wie nach Blutfliegen schnappend verwarf er Vernunft und Gewissen und glaubte, sein kostspieliges Leben hätte keinen Preis.

Doomsday - Tag der Ab-Rechnung. Der Mensch hat sich vergangen. Mögen neue Kinder das Licht der Sonne wandeln. Mögen sie gute Kinder sein, und ihre Mutter nicht nur lieben, sondern auch achten. Nicht nur von ihr nehmen, sondern auch geben. Nicht nur von ihr träumen, sondern auch über sie wachen. Nicht glauben, sondern fühlen, mit reinem Herzen: einer Zukunft entgegen!

In Frieden kann ich nicht ruhen, ich treibe dahin,
im großen Pfuhl der Schande, die ich Dir bin.
Ich habe jedes Sein verwirkt und fahre dahin.
Ich mache Platz für einen Neubeginn.

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